
Wie Diversität und Inklusion in UX-Projekten gelingen kann
Dieser Erfahrungsbericht entstand durch unsere Mitarbeit in einem Human Resource Projekt. Es stehen zwei Ansätze im Fokus, wie Urteilsverzerrungen vorgebeugt werden und wie wir uns für die Diversität sensibilisieren können.
Diversity oder Vielfalt - “the quality or state of having many different forms, types, ideas, etc.”
Source: Merian Webster
Inspiration für diesen Blogpost fand ich durch die vertiefte Auseinandersetzung mit der Diversität und der Inklusion in einem Kundenprojekt. In enger Kollaboration mit dem HR-Departement eines Grossunternehmens ging es dabei um die Erarbeitung eines Webtools für Führungskräfte zur Analyse und Optimierung von Lohngleichheit. Die Reduktion der Gender-Pay-Gap sollte - neben einer Vielzahl von unternehmensweiten Massnahmen – durch dieses Tool unterstützt werden. Komplexe Visualisierungen von einzelnen Lohnentwicklungen sowie Mechanismen zur “fairen” Verteilung von Teambudgets waren ebenso Bestandteil davon.
Als UX-Team waren wir bereits in der Research-Phase mit essentiellen Fragen konfrontiert und übernahmen bei den kleinsten Entscheidungen eine weitreichende Verantwortung: Von der Auswahl heterogener und repräsentativer Nutzer*Innen für unsere User-Interviews, bis hin zum Erstellen der Interviewfragen. Auch bei der Interpretation der Insights oder dem Erstellen des Prototypen der Webapplikation – entscheidend hier waren Wording einzelner Labels oder die Anzeige von Datenpunkten basierend auf Eigenschaften der Person. Dabei stellten wir uns unter anderem folgende Fragen:
Wie lässt sich dabei die Vielfalt der Nutzer*innen am Besten repräsentieren? Welche Informationen sollen bei den Datenpunkten angezeigt werden, welche besser nicht? Wie weit sollen Vergleiche anhand von Eigenschaften wie Geschlecht oder Herkunft möglich sein?
Dass wir im Alltag in den wenigsten Fällen homogene Gruppen antreffen, können wir uns vorstellen. Die Herausforderung besteht darin, die Bedürfnisse von Nutzer*innen so repräsentativ, aber vielfältig und wahrheitsgetreu wie möglich, abzubilden und deren Sichtweisen bestmöglichst zu vertreten. Zu einem grossen Teil sind wir alle jedoch (unbewusst) stark geprägt und voreingenommen. Das hat psychologisch-evolutionäre Gründe, die in der angepassten Verarbeitung, Wahrnehmung sowie Erinnerung und Urteilen von Situationen liegen. Um aus komplexen Informationen das Nötigste und Wichtigste zu extrahieren und interpretieren, nutzt unser Gehirn Abkürzungen und bekannte Denkpfade (Heuristiken). Diese Vereinfachungen werden uns insofern zum Verhängnis, weil dies zu einer kognitiven Verzerrung der Wirklichkeit führt und daraus systematische Denkfehler entstehen - die Cognitive Biases. Da diese zu Stereotypisierung, Vorurteilen und Fehlentscheiden führen können, sollten wir den Urteilsverzerrungen bestmöglichst entgegenwirken.
Es hat uns in unserem Projekt stark geholfen, Annahmen zu hinterfragen und zu diskutieren. Eine Voraussetzung dafür ist jedoch, dass wir als UX-Consultants nicht alleine, sondern im Team oder Tandem unterwegs sind. Hast du ein/n passende/n Sparring-Partner*in gefunden, dann können folgende systematische Leitfragen eine mögliche Hilfestellung sein.
Sensibilität für eigene Biases schaffen und diese systematisch reflektieren
News Deeply, ein Start-Up im Journalismus, hat in Zusammenarbeit mit Airbnb Design ein nützliches Tool entwickelt, um Biases zu erkennen und darauf adäquat zu agieren. Dabei wurden drei Prinzipien ausgearbeitet
Anhand von verschiedenen “Brillen” sollen unterschiedliche Perspektiven eingenommen werden. Dies ist gerade in der Research/Discovery Phase von Projekten entscheidend. UX-Teams sollten sich regelmässig folgende Fragen (Auszug) stellen und damit ihre Ansichten, Meinungen und Prozesse hinterfragen:
Balance your Bias: Seine Annahmen reflektieren und hinterfragen.
- Durch welche Brille blicke ich gerade?
- Challenge ich meine Ansichten und Hypothesen oder bestätige ich sie nur (Confirmation Bias)?
- Welche Gruppe ist unterrepräsentiert? Warum und wie lässt sich das ändern?
Consider the opposite: Bewusst das Gegenteil betrachten.
- Wenn meine Annahmen falsch sind, wie würde die Welt aussehen? (Confirmation Bias)
- Wer würde ablehnen, was ich hier konzipiere oder entwerfe? Weil unsere sozialen Kreise, in denen wir uns bewegen tendenziell aus uns ähnlichen Personen besteht, werden systematisch kontroverse Standpunkte und Meinungen umgangen.
- Wer wird direkt von diesen (UX) Entscheidungen betroffen sein? Und wie wirkt sich diese Entscheidung auf das Verhalten der Nutzer*innen aus?
Embrace a Growth Mindset: Nutze ich meine Neugier und teste dadurch Grenzen?
- Hinterfrage ich den Status Quo, den Ist-Zustand, um damit der Zielgruppe gerecht zu werden?
- Wenn ich etwas lernen könnte, was würde es in diesem Projekt sein?
- Muss ich mein Tempo reduzieren, um zu reflektieren und um voreilige (Design-) Entscheide zu hinterfragen?
Nutz diese und weitere Leitfragen von “Another Lens” gerne im nächsten Projekt und schreibe mir von deinen Erfahrungen.
Beginne bei einem vielfältigen Team
Diversität und Inklusion im eigenen Team. Das ist der erste Schritt. Denn nur so fliessen verschiedenste Perspektiven quasi als Default in den UX-Prozess mit ein. Hier ist neben Persönlichkeitstypen, Geschlecht, Kultur und einer fachlichen Interdisziplinarität auch ein Augenmerk auf unterschiedliche Denkstile oder etwa Senioritätsstufen zu achten. Über die Vorteile von vielfältigen Teams gibt es genügend Literatur, an die ich an dieser Stelle verweisen möchte (siehe Weiterführende Artikel in den Referenzen).
Um auf spielerische Art im Team unterschiedlichste Biases zu explorieren, kann vielleicht auch ein Kartenspiel für ein Teamevent passend sein .
Auch wir bei WeAreCube sind ein diverses Team; fachlich interdisziplinär aufgestellt und kulturell ganz bunt. Nicht ohne Grund ist einer unserer Kernwerte bei WeAreCube “We Live Diversity”. Wenn ich schon bei WeAreCube bin: Wir sind übrigens derzeit auf der Suche nach Verstärkung im Team - vielleicht die Gelegenheit für dich? Hier gehts zum Stelleninserat.
Mein Fazit: Wenn eine Sensibilität zum Thema im Team gegeben ist, wer sich der Verantwortung und Einflussmöglichkeit durch eigene Biases bewusst ist und wer die daraus folgenden Entscheide im Projektprozess systematisch reflektiert - am Besten in einem diversen Team - hat einiges in den Händen! Manchmal bedarf es dazu, das Tempo zu reduzieren und nicht immer nur blind Anforderungen von Stakeholdern zu erfüllen. Das braucht vielleicht Mut und kann unbequem sein, liegt aber in der Verantwortung der UX-Fachperson als Entscheidungsträger*in, diesen Spielraum zu nutzen. Nur so gelingen interaktive Lösungen mit Impact, welche eben auch Inklusion und Diversität berücksichtigen.
Referenzen:
Mehr zum Thema Gender-Pay-Gap https://www.bfs.admin.ch/asset/de/184-1801
Anoterhlens Airbnb: https://airbnb.design/anotherlens/
Es gibt verschiedene Definitionen und Arten von Inklusion und Diversität. Neben den gängigen Eigenschaften wie Gender, Alter, Ethnografie, können Neurodiversität sowie physische Merkmale dazukommen Design Council
Weiterführende Artikel:
https://uxplanet.org/diversity-and-design-how-we-can-shape-a-more-inclusive-industry-3b12999962e
https://uxdesign.cc/diversity-and-inclusion-are-critical-in-design-60fc4a5abb4a
https://uxmag.com/articles/why-you-need-to-diversify-your-design-team
https://uxdesign.cc/the-benefits-of-a-diverse-team-c423d4a849d4