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Joshua Schär
11. August 2020

Über Ablenkung

Wann konntest du das letzte Mal drei Stunden am Stück ungestört arbeiten?

Wo gehst du hin, wenn du fokussiert arbeiten möchtest?

Möchtest du weniger von deinem Smartphone abgelenkt werden?

Das Thema Ablenkung beschäftigt uns bei We Are Cube schon seit längerer Zeit sehr. In diesem Beitrag möchte ich meine Auseinandersetzung damit ein wenig aufrollen und meine persönlichen Erfahrungen teilen. Der Beitrag gliedert sich in drei Teile, die sich unabhängig voneinandern lesen lassen.

A. Den Auslösern auf den Grund gehen

Dieser Teil beschäftigt sich eher theoretisch, mit dem Thema Ablenkung.

B. Persönliche Erfahrungen

Hier berichte ich von meiner praktischen Auseinandersetzung mit dem Thema Ablenkung und halte fest, was bei mir persönlich funktioniert hat und was nicht.

C. Kurierte Liste

Eine kurierte Liste mit nützlichen Inhalten und Hilfsmitteln zum Thema.

A. Den Auslösern auf den Grund gehen

Innere Ablenkung

Als Menschen neigen wir automatisch dazu, sofort einen Grund und Erklärungen für Tatsachen und Probleme zu finden. Bei Ablenkung sind schnell mal die anderen Schuld, die Technologie oder der Arbeitsort. Doch müssen wir mit dem Finger zuerst auf uns selber zeigen und bei uns beginnen. Das fällt uns aber oft nicht leicht, da innere Ablenkungen unangenehm sein können. Deshalb lassen wir uns auch gerne ablenken.

Wir können zwar unsere Gedanken und Gefühle im Kopf kaum kontrollieren, aber unsere Reaktion darauf.

Wenn wir also einen besseren Umgang mit inneren Ablenkungen finden wollen, müssen wir zuerst herausfinden, wann und weshalb wir uns ablenken lassen. Wie etwa auch bei einer Sucht empfiehlt sich aus verhaltenspsychologischen Gründen uns den inneren Auslösern überhaupt erst bewusst zu werden, um eine unerwünschte Verhaltensweise erfolgreich ändern zu können. Das setzt voraus, dass wir dies zulassen und entsprechende Gedanken nicht unterdrücken. Studien zu Raucherentwöhnung legen beispielsweise nahe, dass wir uns nicht selber verbieten sollten, über ein unerwünschtes Verhalten nachzudenken. Vielmehr müssen wir bessere Wege finden, damit umzugehen. Konkret bedeutet das, Impulse, Gedanken und Verlangen zuzulassen und in einem anderen Licht zu sehen. Es kann helfen, wenn wir uns selbst dabei von Aussen betrachten, als wären wir eine andere Person.

Wartezeiten sind beispielsweise klassische Auslöser von Unbehagen, sodass wir schnell mal ein neues Browser-Tab öffnen oder den Social Media Feed durchgehen. Ein anderes Beispiel sind bevorstehende Aufgaben, die uns nicht Spass machen, unangenehm sind oder vor denen wir uns gar fürchten.

Es kann helfen, das Unbehagen sowie die inneren Trigger, die der Ablenkung vorausgehen, irgendwo aufzuschreiben, inkl. Tageszeit, Tätigkeit und dem Wohlbefinden. Das trainiert uns, dass wir uns den Impulsen im Moment bewusst werden. Verhaltenspsychologen schlagen das sogenannte “Urge Surfing” vor, welches sich besonders bei de Raucherentwöhnung bewährt hat. Dabei wird ein Verlangen wie eine Welle geritten und weder wegedrückt noch darauf eingewirkt. Nach einer kurzen Zeit klingt das Verlangen ab und wir können besser mit dem Impuls umgehen.

Unablenkbar zu sein setzt voraus, dass wir die inneren Beweggründe für unser Verhalten kennenlernen und verstehen. Indem wir anders über unerwünschte Verhaltensweisen denken, wird ein besserer Umgang damit einfacher.

Ping, Ring, Klopf und Ding Ding

Der offentsichtlichere und in einigen Fällen auch einfacher zu handhabende Teil von Ablenkung kommt von Aussen. Wir arbeiten fokussiert an unserem Arbeitsplatz und plötzlich springt ein Icon auf und ab, lenkt unsere Aufmerksamkeit dorthin und reisst uns aus dem Flow. Oder das Telefon klingelt. Oder es klopft an der Tür. Oder Mitarbeitende platzen ins Büro. Oder es ertönt ein Benachrichtigungston vom Smartphone. Wir kennen es alle.

Untersuchungen zum Thema Ablenkung während der Arbeit haben gezeigt, dass wir mitterweile ca. 3 Minuten am Stück konzentriert arbeiten können, bis wir vom Smartphone abgelenkt werden. Man könnte argumentieren, dass das schnelle Checken von Mails und der kurze Blick auf die Meldungen auf dem Smartphone kognitiv nicht anspruchsvoll sind. Doch das stimmt nur bedingt, denn unser Hirn muss bei jeder Ablenkung und bei jedem Wechsel Entscheidungen treffen, z.B. wie wichtig ist die Meldung, soll ich darauf antworten, muss ich mir eine Notiz für später machen und an welcher Tätigkeit war ich soeben? Aufsummiert über den Tag ergibt das dann eine ziemlich grosse Menge an Mikroentscheidungen, welche uns erwiesenermassen erschöpft.

Diese Unterbrechungen lenken uns nicht nur ab, sondern lösen auch Stress aus. Das geht auf Kosten der psychischen Gesundheit, der Effizienz sowie der Qualität unserer Arbeit. Hier müssen wir uns fragen: Dienen uns diese externen Auslöser tatsächlich? Oder dienen wir ihnen?

Ablenkungen sind gut fürs Business. Soziale Plattformen erzeugen z.B. mit visuellen Auslösern bewusst ein Gefühl der Dringlichkeit, sodass wir möglichst bald, möglichst oft und möglichst lange auf den Plattformen verweilen. Es gibt viele dieser Tricks, welche gezielt solche Schwächen von uns Menschen ausnutzen. Bekannt dürfte wohl FOMO sein, was für “Fear Of Missing Out” steht. Menschen haben ein Bedürfnis der Zugehörigkei und wollen nichts verpassen. Die zuständigen Synapsen im Hirn beginnen zu feuern, wenn das Icon auf und ab springt. Oder indem rote Benachrichtigungspunkte uns ständig mitteilen, dass wir etwas verpasst haben. Twitter geht sogar noch weiter und schickt standardmässig Push-Meldungen, wenn der Algorithmus “denkt”, dass mich irgendein Tweet besonders interessieren könnte; auch wenn ich darin nicht direkt erwähnt wurde. Dieses Feature lässt sich deaktivieren.

Ein anderes Beispiel ist die “Gelesen” Meldung von Nachrichten-Apps. Ein solches Feedback verstärkt die soziale Reziprozität. Dieses Prinzip der Wechselseitigkeit gilt in den Sozialwissenschaften als universelles Prinzip: Wir sind voneinander abhängig und diese wechselseitige Abhängigkeit ist nötig, damit wir in Beziehungen überhaupt Vertrauen aufbauen können. Sobald für mich, wie auch für den Sender sichtbar wird, dass ich die Nachricht gelesen habe, fühle ich mich verpflichtet, zurückzuschreiben. Und so bin ich schon bald wieder zurück, um zu antworten. Wäre ja sonst unhöflich, oder? :)

Als Grundregel für den Umgang mit externen Auslösern eignet sich eine leicht angepasste Version eines bekannten Sprichworts: Was ich nicht sehe, macht mich nicht heiss.

Planung

Die Zeit, die wir Menschen zur Verfügung haben, ist beschränkt und entsprechend wertvoll. Deshalb soll sie bewusst geplant werden.

Manchmal haben wir eine gute Absicht, z.B. eine wichtige Mail zu beantworten. Aber kaum nachdem der Mail Client geöffnet wurde, sind wir dabei, die neu hereingekommenen Mails zu lesen und eine Weile später wissen wir gar nicht mehr, was wir eigentlich vorhatten.

Ob unsere Handlungen zu Ablenkungen führen oder nicht, können wir mit klarer _Intention, _bzw. Planung besser steuern. Wenn wir vorausplanen und unsere Handlungen bewusst wählen, werden wir auch weniger schnell abgelenkt. Planung hilft uns das zu machen, was wir eigentlich machen wollen. Wenn in meinem Kalender ersichtlich ist, wofür ich meine Zeit nutze, werde ich auch weniger unterbrochen, abgelenkt oder beschäftige mich mit belanglosen Arbeiten.

B. Persönliche Erfahrungen

In diesem Teil beschreibe ich meine konkrete Auseinandersetzung mit Ablenkung, was mir geholfen hat und was nicht. Die erwähnten Tools sind alle im dritten Teil dieses Beitrags aufgelistet. Ich verzichte bewusst darauf, die Inhalte direkt im Text zu verlinken, um beim Lesen die Ablenkung gering zu halten.

Remote Work. Die derzeit weltweit ausserordentliche Lage hat auch mich dazu gezwungen, von Zuhause aus zu arbeiten. Dadurch hatte ich die Möglichkeit, eine wichtige neue Erfahrung zu machen. Meine Hauptbefürchtung war, dass mich meine fast 4-Jährige Tochter ständig unterbrechen würde und das Arbeiten von Zuhause aus kaum möglich sein würde.

Meine Zwischenfazit nach fünf Monaten ist aber, dass ich insgesamt weniger abgelenkt wurde und viel konzentrierter arbeiten konnte als wenn ich in der Firma oder bei Kunden arbeite. Ich bin mir bewusst, dass nicht alle diese Erfahrung machen konnten. Es geht mir jedoch darum, dass wir nicht zwingend zur Firma gehen müssen, um konzentriert und effizient arbeiten zu können. Dies ist auch an anderen Orten möglich (z.B. im Restaurant, im Park oder in einem Co-Working Space).

Planung. Ich habe sehr gute Erfahrung damit gemacht, meine (Abend-) Aktivitäten zu planen und auch Dinge wie Gamen, Lesen, Sport und Tagebuch schreiben in meinem persönlichen Kalender einzutragen. An manchen Abenden trage ich bewusst auch nichts ein, einfach um in diesem Moment die Freiheit zu haben, das zu machen, was ich will. Für mich persönlich hat sich der Sonntagabend vor der bevorstehenden Woche dafür bewährt, die noch nicht verplanten Abende zu planen. Seit ich meine freie Zeit detaillierter plane, gelingt es mir besser, das zu tun, was ich wirklich tun möchte.

Timeboxing: Timeboxing heisst nichts anderes, als für Aktivitäten die Stoppuhr zu starten und nur die dafür eingeplante Zeit dafür zu nutzen. Bei _We Are Cube _nutzen wir diese Methode schon länger und ich habe sehr gute Erfahrungen damit gemacht. Es führt dazu, dass man die verfügbare Zeit effizienter nutzt und schützt davor, dass die Zeit zwischen den Fingern zerrinnt und am Ende doch nicht viel dabei rauskommt. Timeboxing lässt sich auch auf Meetings übertragen, was wohl der nächste Anwendungsort ist, an dem ich die Methode testen möchte.

Autoplay. Das automatische Abspielen vom nächsten Video kann in manchen Momenten praktisch sein, sollte aber aus meiner Sicht nicht die Standardeinstellung sein. Deaktiviertes Autoplay ermöglicht mir zu entscheiden, was ich als nächstes machen möchte. Wenn wir die Systeme für uns entscheiden lassen, kann das auf Kosten unserer Gesundheit gehen.

Vorlesen. Das Vorlesen von Webseiten ist ohne Zusatzsoftware direkt im Firefox Browser möglich. Dies ermöglicht es uns, nicht am Smartphone zu verweilen und damit reduzieren wir die potentiellen Ablenkungstrigger, die ein Smartphone mit sich bringt. Ich kombiniere diese Funktion so, dass ich zu lesende Artikel irgendwo speichere und sie mir dann z.B. im Zug vorlesen lasse.

Lesebestätigung. In Teil A habe ich das soziale Prinzip der Wechselseitigkeit beschrieben. Warum genau benötigen wir Lesebestätigungen? Ich selber brauche es nicht, weil ich keinen Nutzen darin sehe, ausser eine Art Kontrolle, welche ich erst recht nicht in meinem Freundeskreis ausüben möchte. In Gesprächen mit Freunden habe ich schon einige Male gehört, dass Lesebestätigungen Stress auslösen. Wahrscheinlich löst es nicht bei allen Stress aus, aber es schadet bestimmt nicht, wenn man sicht fragt, ob und weshalb man eine Lesebestätigung verwenden möchte.

FOMO. Fear of missing out ist real. Die Notification Badges haben genau ein Ziel: dich mit diesem visuellen Trigger in die App zurückzuholen. Deshalb habe ich sie deaktiviert. Es ist selten wichtig und dringend. Und wenn es das wäre, bin ich immer noch telefonisch erreichbar. Seit ich das für all meine Kommunikationskanäle gemacht habe, steuere ich viel bewusster, wann ich mir entsprechende Inhalte anschaue oder Nachrichten lese.

Nicht Stören und Konzentrations-Modus. So heissen zwei geniale Funktionen, die es seit Android 10 gibt. Nicht Stören ist super, einmal aktiviert, sehe ich weder Nachrichten, E-Mails, noch Anrufe noch sonstige ablenkende FOMO Trigger oder Benachrichtigungen. Der Konzentrations-Modus geht noch weiter und schränkt den Zugriff ausgewählter Apps zu bestimmen Zeiten komplett ein. Beide Features lassen sich ziemlich einfach konfigurieren und haben sich bereits in vielen Situationen bewährt. Diese Features sind direkt aus den Quick Settings erreichbar.

App Timers. Seit Android 10 kann man pro App ein Tageslimit festlegen. Sobald das Limit erreicht wurde, werden diese Apps automatisch geschlossen und die Benachrichtigungen verstummen. So wird das Feature von Google beschrieben. In Realität ist es ein Dialog, der auf die Nutzung aufmerksam macht, aber eine Option anbietet, die App weiterzunutzen. Die App Timers verwende ich seit es sie gibt, aber ich drücke sie jeweils einfach weg. Mir helfen sie also nicht wirklich.

YourHour App. Diese App hilft mir, meine Smartphone-Nutzung zu analysieren und mit spielerischen Ansätzen die Zeit am Bildschirm zu reduzieren. Ich verwende sie vor allem wegen des netten kleinen Feautures namens “Floating Timer”. Die App blendet standardmässig für alle Apps eine kleine Stoppuhr ein und zeigt an, wie lange die App schon geöffnet ist. Dies ruft mir immer wieder ins Bewusstsein, dass ich am Smartphone bin. Dieses Bewusstsein hilft mir dann, die App wieder zu schliessen und das Smartphone auf die Seite zu legen.

Daylio. Diese App bietet neben dem sehr einfach zu handhabenden Tagebuch eine weitere nützliche Funktionalität. Und zwar kann ich damit einfach persönliche Ziele festlegen. Diese Ziele erscheinen anschliessend täglich in meinen Benachrichtungen und erinnern mich an meine Ziele.

App suchen. Um die Ablenkung von Apps auf meinem Smartphone zu reduzieren, die ich eigentlich nicht öffnen möchte, habe ich mir angewöhnt, die zu öffnenden Apps mit der Suchfunktion einzutippen. Damit unterstütze ich mich selbst bei meinem Ziel, das Smartphone mit Absicht zu nutzen und mich nicht ungewollt ablenken zu lassen.

Indistractable App Launcher. Seit zwei Monaten verwende ich auf meinem Smartphone einen minimalistischen App Launcher. Ich sehe alle Apps nur noch als Text, ohne App Icons und ohne Notification Badges. Das bringt mich weniger in Versuchung irgendwelche Apps zu öffnen, die ich gar nicht öffnen wollte.

Rambox. Seit ich bei We Are Cube arbeite, verwende ich Rambox. Für längere Zeit fand ich es genial, dass ich die verschiedenen Kommunikationskanäle in einer App bündeln und sehr einfach die Benachrichtigungen der einzelne Apps steuern konnte (lautlos, keine Badges). Leider gelingt es mir nicht, beim Öffnen von Rambox nur die eine gewünschte App anzuschauen - ich klicke mich jeweils rasch durch alle Slack Teams und auch die privaten Chats usw., und verliere damit sofort den Fokus und die Konzentration. Neuerdings starte ich die entsprechenden Kommunikationskanäle nur dann, wenn ich auch am entsprechenden Projekt arbeite.

Vollbild. In einigen Situationen verwende ich den Vollbildmodus bei Programmen. Ich sehe dann andere Apps und Benachrichtungen nicht mehr und kann konzentrierter Arbeiten.

Beenden. Ich beende bewusst Software, von denen ich nicht abgelenkt werden möchte. Wenn ich mich konzentrieren will, schliesse ich also meine Nachrichten-Apps, den Firmenchat, mein Mail Client usw.

Kopfhörer. Und zwar Noise Cancelling Kopfhörer. Der Pamir mit Musik, um sich gezielt von den Umgebungsgeräuschen zu verabschieden. Eine Anschaffung, die sich lohnt.

Lautlos. Ich sehe mittlerweile keinen Grund mehr, warum das Smartphone nicht standardmässig lautlos sein sollte. Töne lenken nicht nur mich, sondern auch alle anderen rund um mich herum ab. Der Vibrationsmodus ist für mich ausreichend. Ich mache das seit Jahren und habe noch nie etwas Wichtiges verpasst.

C - Kurierte Liste

Vielen Dank für deine Aufmerksamkeit!

Wenn du Fragen oder Anregungen  hast, oder deine Fokus-Tipps mit mir teilen möchtest, würde mich das freuen: josh@wearecube.ch

Zum Abschluss noch ein tolles Zitat aus dem oben erwähnten Artikel von Tristan Harris:

We need our smartphones, notifications screens and web browsers to be exoskeletons for our minds and interpersonal relationships that put our values, not our impulses, first. People’s time is valuable. And we should protect it with the same rigor as privacy and other digital rights.