
Stress, Burnout und interessierte Selbstgefährdung - ein Ausflug in die Arbeitspsychologie
“Reduce work in progress, stupid!” - ein gut gemeinter Ratschlag, aber… Wer kennt es nicht: viele Projekte laufen gleichzeitig, der Arbeitsalltag gleicht allmählich dem einer Agentur. Ständiger Kontextwechsel, hier ein Asset liefern, dort ein Expert-Review, dann noch schnell ein Mockup, ein Prototyp und zwischendrin viele Meetings. Auch wir Cubies kämpfen in den hektischen Phasen mit zu viel Stress.
Immer wieder kann man in den Zeitungen über Burnout lesen oder hört von Arbeits- oder sonstigen Kollegen darüber, wie es jemanden “usgteindlet het”, bzw. es zu einem Burnout gekommen ist. Aber was ist eigentlich genau ein Burnout?
Dieser Blogpost klärt zuerst den Begriff Burnout, beleuchtet dann das damit zusammenhängende Phänomen der interessierten Selbstgefährdung und zeigt schliesslich einige Möglichkeiten auf, wie wir mit dem Stress im Arbeitsalltag umgehen können.
Zur Auflockerung des Themas habe ich einige Memes eingefügt. Viel Spass.
Burnout
Burnout ist der Begriff für eine körperliche, emotionale und geistige Erschöpfung aufgrund beruflicher Überlastung. Die Anzeichen für Burnout sind beispielsweise rasche Ermüdung, Gereiztheit, Ungeduld und starke Zweifel an der eigenen Arbeit. Die berufliche Überlastung wird meist durch Stress ausgelöst, der nicht mehr bewältigt werden kann.
Um das Entstehen eines Burnout besser verstehen zu können, müssen wir also einen Blick auf den Stress werfen.
Stress kann auch gut sein
Ein Burnout hängt stark mit Stress zusammen. Stress ist jedoch nicht nur negativ. Dank zahlreicher Studien weiss man, dass ein gewisses Mass an Stress und der richtige Umgang mit dem Stress zu besserer Leistung führt. Das bedeutet, dass die Qualität unserer Arbeit sogar noch gesteigert werden kann, wenn wir “richtig” gestresst sind. Es dürfte also nicht überraschen, dass zwischen zwei Stressarten unterschieden wird: dem Eustress und dem Distress. Eustress ist der gute Stress. Er ist dadurch gekennzeichnet, dass er nicht lange anhaltet und mit Erholung wieder ausgeglichen wird. Der Distress ist der “böse” Stress, der negative Auswirkungen auf unser körperliches und psychisches Befinden hat. Typischerweise wird er nicht mit Erholung ausgeglichen. Fortwährender Stress, der nicht ausgeglichen wird, führt also irgendwann zu körperlicher und psychischen Erschöpfung.
Auf der Verhaltensebene haben sich Ausgleich, aktive Erholung, das Setzen von Grenzen und das Achten auf weniger Perfektionismus als effektive Massnahmen erwiesen. Im Arbeitskontext hat das betriebliche Gesundheitsmanagement grosse Bedeutung. Damit werden gesundheitsfördernde Arbeitsbedingungen gestaltet.
An dieser Stelle möchte ich noch weiter in den Arbeitskontext eintauchen. Arbeitnehmer arbeiten heute immer öfters freiwillig übermotiviert und gefährden damit ihre Gesundheit. Dies ist ein neues Phänomen und wird von Forschern “interessierte Selbstgefährdung” genannt.
Interessierte Selbstgefährdung
Der Philosoph Klaus Peters hat sich der Frage nach der Ursache der Zunahme von psychischen Belastungen angenommen. Dabei hat er das Konzept der indirekten Steuerung und interessierten Selbstgefährdung erarbeitet.
Mit indirekter Steuerung meint Peters einen Paradigmenwechsel der Unternehmen: Unternehmen stellen von der direkten auf die indirekte Steuerung um. Damit ist gemeint, dass Mitarbeitende durch Vorgesetzte quasi nur noch am Erfolg gemessen werden und nicht mehr an der Leistung. Dadurch werden Mitarbeitende im Angestelltenverhältnis gewissermassen zu unternehmerisch Selbstständigen. Sie bekommen mehr Autonomie und können sich ihre Arbeitszeit frei einteilen. Die Vorgesetzten interessieren sich dann weniger für den Arbeitsprozess, sondern für das Ergebnis. Das hat auch Vorteile, z.B. fällt die lähmende Kontrolle durch Vorgesetzte weg und Arbeit und Familie lässt sich unter Umständen besser vereinbaren. Es bedeutet aber auch, dass die Angestellten selbst schauen müssen, wie und in welcher Zeit sie ihre Aufgaben schaffen. Bei Engpässen wird auch ohne Anweisungen härter gearbeitet. Um erfolgreich zu sein, legen Mitarbeitende eine sehr hohe Leistungsdynamik an den Tag. Wenn nötig, wird dabei keine Rücksicht auf die eigene Gesundheit genommen. Aufgrund des grossen Interesses am beruflichen Erfolg kommt es zur interessierten Selbstgefährdung.
Selbstgefährdendes Verhalten kann auch als Bewältigungsstrategie verstanden werden. Diese Bewältigungsstrategie wird angewendet, um eine grosse Arbeitsmenge zu bewältigen, die durch das eben beschriebene Phänomen des selbständigen Unternehmertums entsteht. Es wird davon ausgegangen, dass selbstgefährdendes Verhalten zu Erschöpfungszuständen bis hin zu einem Burnout führen kann.
Bin ich betroffen?
An den nachfolgenden Anzeichen kannst du eine interessierte Selbstgefährdung bei dir selbst erkennen:
- Trotz Krankheit arbeiten, krank zur Arbeit kommen
- Auf sinnvolle Regeneration nach Erkrankung verzichten
- Länger als 11 oder 12 Stunden pro Tag arbeiten, ohne dass dies angeordnet ist
- Zugunsten der Arbeit auf Kurzpausen im Laufe des Tages verzichten
- Auf die Mittagspause verzichten oder am Arbeitsplatz nebenbei essen
- Am Wochenende oder an Feiertagen arbeiten
- Spätabends oder frühmorgens von zu Hause aus arbeiten
- Teile des Urlaubs nicht nehmen, Urlaubstage oder Überstunden verfallen lassen
- Auf Arztbesuche verzichten, beziehungsweise diese nach hinten verschieben
- Eine unbezahlte “freiwillige” Mehrarbeit gegenüber Dritten verschweigen
- Eigene Leistungseinschränkungen gegenüber Dritten (Arbeitgeber, Kollegen) verschweigen
- Ein schlechtes Gewissen haben, wenn man krank ist
- Risiken eingehen (zum Beispiel falsche Angaben in Controlling-Systemen eintragen), um die Erreichung seiner Ziele nicht zu gefährden
- Fachliche Qualität der Arbeit (Kundenorientierung) zugunsten des ökonomischen Erfolgs vernachlässigen
- Bei der Arbeit auf Dinge verzichten, die man eigentlich als wichtig und sinnvoll erlebt (sich etwa in Gesprächen ausreichend Zeit für Kunden oder Kollegen nehmen)
- Ausgleichende Freizeitaktivitäten wie Kinobesuche, Sport oder Ähnliches zugunsten der Arbeit einschränken
- Auf Familienaktivitäten verzichten (zugunsten der Arbeit)
- Stimulierende Substanzen einnehmen, um in Schwung zu kommen oder lange durchzuhalten
- Beruhigungsmittel einnehmen, um sich entspannen oder schlafen zu können
Falls du eine dieser Verhaltensweisen zeigst, solltest du im Detail folgende Fragen prüfen:
- Gibt es typische Situationen, in denen du dich so verhältst?
- Was sind die Vorteile (persönlicher Nutzen, zum Beispiel zufriedene Kunden, finanzieller Bonus) sowie Nachteile (persönliche Kosten wie z.B. Schlafprobleme) dieses Verhaltens? Stelle den persönlichen Nutzen und die Kosten gegenüber
- Möchtest du das selbstgefährdende Verhalten reduzieren? Was musst du dafür in Kauf nehmen?
Umgang mit Stress
Was gibt es also für Möglichkeiten, allgemein mit Stress umzugehen? Ich habe einige Inputs in vier Gruppen eingeteilt: Tools, Studien, Umdenken und Praktische Tipps. Diese Inputs sind als ergänzende Anregung und Inspiration anzusehen. Natürlich gibt es noch viele weitere Möglichkeiten, wie man mit Stress umgehen kann. Zudem bezieht sich diese Liste auf Massnahmen, welche persönlich angewendet werden können. Für die Unternehmen ist es empfehlenswert, ein systematisches, betriebliches Gesundheitsmanagement aufzubauen.
Tools
- Tomato-Timer: setze einen Timer entsprechend deiner Aufgabe und mache dann eine kurze Pause. Basiert auf der Pomodoro Technik.
- Digital Wellbeing ist aktuell in der Betaphase und bald für Android User erhältlich. Mit dieser App kannst du dein Smartphone Nutzungsverhalten analysieren und dir zeitliche Begrenzungen pro App festlegen.
- “Nicht Stören”-Modus auf dem Smartphone, gibt es für Android und iOS.
Studien
- Auch kleiner Stress kann schädlich sein: Auch kleinerer Stress kann auf lange Sicht schädlich sein. 1155 Probanden wurden nach ihrer Gesundheit und während acht Tagen über ihren Alltagsstress befragt. Nach 10 Jahren checkte man die Gesundheit der Probanden erneut. Sie war bei denen signifikant schlechter, bei denen die negativen Gefühle lange angehalten hatten und die sich nicht richtig erholt hatten.
- Ratgeber helfen: Anders als manche Studien es nahelegen, helfen Ratgeber doch. Dies konnten Psychologen in einer Studie anhand eines Selbsthilfebuches gegen Burnout, Stress und Depressivität nachweisen. Bei Betroffenen, welches das Buch durcharbeiteten, liess der Stress nach und das Wohlbefinden stieg.
- Von Symptombekämpfung zum Umgang mit Stress: Es wird auch diskutiert, inwiefern Entspannung nur Symptombekämpfung ist. Als nachhaltigere Lösung argumentieren Psychologen, dass man einen Umgang mit dem Stress finden soll.
- Auswirkungen von Stress auf das Hirn: Mässiger Stress wirkt sich bereits auf das Hirn aus. Dies ist insofern wichtig, weil moderate Stressfaktoren häufiger sind als extreme Ereignisse.
- Unfaire Bezahlung bewirkt Stress: Wird die Bezahlung einer Arbeit als unfair empfunden, bewirkt das unmittelbar körperlichen Stress.
- Genügend Zeit für Projekte: Zeitdruck funktioniert auf Dauer nicht. Die Motivation sinkt und das Stressgefühl steigt, wenn der Zeitdruck chronisch wird.
- Kleine Wohltaten als Polster: Wie wir wohl alle unschwer zugeben können, werden wir häufiger von unangenehmen Emotionen heimgesucht, wenn wir unter starker Belastung stehen. Selbst kleine Wohltaten wirken dabei aber als Polster gegen negative Stimmungen.
Umdenken
- Glücklich != stressfrei: Ein glückliches Leben bedeutet nicht zwingend ein stressfreies Leben.
- Hello dear stress: Stress hat einen schlechten Ruf. Heisse den Stress willkommen. Um weniger Stress zu fühlen, muss man ihn differenziert betrachten und auch seine guten Seiten kennen und schätzen
- Innehalten und Pause machen: Meditation heisst im Grunde nichts anderes, als zu sein. Einfach innezuhalten und sich eine Pause zu gönnen.
Praktische Tipps (Massnahmen zur Stressreduktion)

An meinem Arbeitsplatz erinnere ich mich mit einem kleinen Plakat namens “Health-Reminder”, s. Foto “Health-Reminder”.
- Wähle einen familienfreundlichen Arbeitgeber mit entsprechenden Arbeitsbedingungen. Eine wichtige Bestätigung diesbezüglich erhielt ich an meinem ersten Mitarbeitergespräch. Hier eine Anekdote meines Teamleiters: “Ich erwarte von dir nicht, dass du am Abend deine Mails liest, geschweige denn beantwortest. Im Gegenteil, ich erwarte von dir, dass du das nicht tust.”
- Wer nichts mit autogenen Trainings und Meditation anfangen kann, kann es mit diesem praktischen Tipp versuchen: Sei mal nett zu deinen Mitmenschen. (vgl. letzter Punkt bei den Studien)Entspannungs- und Meditationsübungen
- Wenn man sich besonders konzentrieren muss, sollte man E-Mail-Client, Nachrichten-Apps und andere unterbrechende oder ablenkende Programme beenden und erst später wieder öffnen
- Sich nicht übermotiviert verpflichten: geschäftliche E-Mails nicht auf dem privaten Smartphone empfangen.
- Ich selbst habe die Push-Notifikationen für meine private E-Mail-Inbox deaktiviert. Beim konzentrierten Arbeiten vergesse ich meine persönliche Inbox und wenn die Notifikationen wegfallen, rufe ich meine privaten E-Mails erst Zuhause auf.
- Ideen zu Präventionsmassnahmen in der Firma kommunizieren.
In der compact Version von Psychologie Heute (Heft 53) habe ich zwölf “kleine Regeln, die den Alltag erleichtern” gefunden.
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